
Presseartikel aus "Die Glocke" vom 18. November 2014
Von dem Redaktionsmitglied Martin Neitemeier
Kreis Gütersloh (gl). Politisch hoch hergegangen ist es im November 1994 im Kreis Gütersloh. Heute vor 20 Jahren endete nach zehn Verhandlungstagen der legendäre Erörterungstermin für die Müllverbrennungsanlage (MVA) Gütersloh. Kurz zuvor war Ursula Bolte sensationell mit Unterstützung aus den Reihen der Christdemokraten als erste Frau und als erstes SPD-Mitglied zur ehrenamtlichen Landrätin des Kreises gewählt worden.
Knisternde Spannung liegt am Morgen des 5. November 1994 in der Aula der Kreisberufsschule in Rheda-Wiedenbrück in der Luft: Der neue Gütersloher Kreistag ist bei der anstehenden Landratswahl nicht vollständig. Kurzfristig erkrankt fehlt eine SPD-Abgeordnete. Die Ein-Stimmen-Mehrheit (31 zu 30) des Dreier-Bündnisses aus SPD, Grünen und FWG/UWG gegenüber der CDU mit Amtsinhaber Franz-Josef Balke an der Spitze ist dahin.
Gleichwohl kommt es zum Machtwechsel, weil die Koalition eine Stimme mehr bekommt, als Mitglieder anwesend sind, und – bei einer Enthaltung – für die CDU-Liste lediglich 28 Kreistagsmitglieder votieren. Die Geschlossenheit des Bündnisses vorausgesetzt, hat also ein Christdemokrat direkt die SPD-Kandidatin gewählt und einer sich enthalten. Kurz darauf übernimmt der nun erste stellvertretende Landrat Franz-Josef Balke die politische Verantwortung und tritt als CDU-Kreisvorsitzender zurück.
Zwei Jahre später sorgt der Verler als Abweichler dafür, dass der damalige Oberkreisdirektor Günter Kozlowski nicht mit allen CDU-Stimmen zum hauptamtlichen Landrat gewählt wird. Balkes Stimme für Bolte führt zu einem Patt. Den Losentscheid gewinnt die Sozialdemokratin.
Zurück zur MVA-Erörterung, die vor einigen 100 Zuhörern am 2. November 1994 in der Gütersloher Stadthalle beginnt. Die Gegner des politisch wegen des geplanten Abfallverbunds Nord längst nicht mehr gewollten, aber rechtlich noch verbindlichen Projekts setzen am Anfang und am Ende der teils hitzigen Aussprache besondere Akzente. Zum Auftakt ziehen sie nach einer Andacht in der Martin-Luther-Kirche in einem Schweigemarsch zur Stadthalle und tragen dabei das Waste-Management-Projekt symbolisch schon mal in einem Sarg zu Grabe. Am letzten Tag, heute vor genau 20 Jahren, inszenieren sie dann vor erneut vollem Haus ein Anti-Waste-Schauspiel und überreichen dem Projektleiter des amerikanischen Konzerns einen „Nicht-Genehmigungsbescheid“.
44 Stimmen für Kreis-Gesamtschule
Kreis Gütersloh (mn). Zum „heißen“ November 1994 in der Gütersloher Kreispolitik gehört abgesehen von der Landrätinnenwahl auch eine weitere Entscheidung des Kreistags: Am 26. November spricht sich das Parlament mit 44 Jastimmen für die Errichtung einer Gesamtschule im Norden des Kreises Gütersloh mit Standorten in Borgholzhausen (Sekundarstufe I und II) und Werther (Sekundarstufe I) aus. Aus den Reihen der CDU gibt es zehn Gegenstimmen und sieben Enthaltungen. Der Kreis Gütersloh folgt dem Wunsch der betroffenen Kommunen. Es ist damals nach der 1985 in Gütersloh eingerichteten Anne-Frank- die zweite Gesamtschule im Kreis. Heute gibt es nach einem Boom in jüngster Zeit inzwischen zehn dieser Bildungsstätten.
Miele kauft Gelände
Kreis Gütersloh (mn). Am Ende des Planfeststellungsverfahrens kommt es tatsächlich so. Die Bezirksregierung Detmold sagt Nein zu dem 300-Millionen-Mark-Projekt, mit dem der Kreis Gütersloh in Zeiten des Müllnotstands Waste Management beauftragt hat. Begründung: nicht gesicherte Erschließung, zu enge Grundstücksverhältnisse, Verunstaltung des Gütersloher Ortsbildes. Zudem hat Detmold erhebliche Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit der Anlagentechnik. Allesamt Themen, die vom 2. bis 18. November 1994 auch die Erörterung geprägt haben und im Vorfeld zu 70 000 Sammel- und 7000 Einzeleinwendungen geführt hatten.
Endgültig vom Tisch ist das MVA-Projekt erst, als Landrätin Ursula Bolte am 28. August 1999 einen Auslösungsvertrag mit Waste Management unterschreibt. Dessen Kernaussage: Jede Partei trägt ihre Kosten selbst. Für den Kreis waren das 3,5 Millionen Mark für das Grundstück an der Ecke Stadtring Nordhorn/Edisonstraße, 855000 Mark für Gutachten, bis zu 600000 Mark an Verwaltungskosten sowie öffentlich nicht bezifferte Ausgaben für Anwälte.
Einen Teil des Geldes holt der Kreis 2001 und 2004 mit dem Verkauf des 32000 Quadratmeter großen Areals an die Firma Miele wieder rein. Das damals von dem Hausgerätehersteller als Reservefläche gekaufte Grundstück soll im kommenden Jahr bebaut werden. 20 Jahre nach dem Aus für die an dieser Stelle vorgesehene Müllverbrennungsanlage entsteht dort ein zusätzliches Zentrallager für Ersatzteile und Zubehör.