
Unsere Politik ist "die Basis für neue Reformen, nicht der Ersatz", hat Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner kämpferischen Haushaltsrede vor dem Bundestag klar gemacht. Dabei wird die Bundesregierung am eingeschlagenen Weg zum Umbau der Sicherungssysteme in Deutschland festhalten. Diese Reformen sollen sozial gerecht und ohne Verunsicherung der Menschen umgesetzt werden, sagte Schröder. Der Kanzler bekräftigte, die notwendigen Veränderungen im Renten- und Gesundheitssystem auf einer „gesicherten Basis“ umzusetzen.
An der Opposition übte der Bundeskanzler scharfe Kritik. Statt „Klamauk“ und „persönlicher Diffamierung“ sollten konstruktive Vorschläge einreicht werden. „Die Opposition hat nicht nur die Pflicht zur Kritik, sondern auch die Pflicht zur Verantwortung“, so Schröder.
Nachlassende Konjunktur hat Auswirkungen auf sozialen Sicherungssysteme
Schröder machte deutlich, dass die anhaltende Wachstumsschwäche drei Ursachen habe: Zum einen der weltweite Zusammenbruch des Neuen Marktes, zum anderen die „unseriösen Geschäftspraktiken großer Unternehmen nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland“ und schließlich das verschärfte weltwirtschaftliche Klima durch die Krise im Irak. Diese veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen seien nicht ohne schwerwiegende Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme geblieben, sagte Schröder. Dabei sei die Wachstumsschwäche von keinem der Wirtschaftsinstitute so vorhergesehen worden.
Die geringeren Steuereinnahmen durch die anhaltende Wachstumsschwäche hätten entsprechende Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Haushalte 2002 und 2003. Insgesamt müsse deshalb der Haushalt so betrachtet und beschlossen werden, wie es den Notwendigkeiten des Landes entspräche.
Schröder bekräftigte, dass die Bundesregierung am Ziel festhalte, die Defizitzielgrenze des europäischen Stabilitätspaktes von 3 Prozent im Jahr 2003 einzuhalten. Er stelle klar, dass die beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung eingeleitet wurden, um eine Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme zu erreichen. Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Eilgesetze zu Arbeit, Rente und Gesundheit seien dabei nur die Basis für strukturelle, gerechte Reformen.
Mehr Transparenz und Wettbewerb im Gesundheitssystem
Im Gesundheitssystem plädierte Schröder für mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Zugleich müsse das „medizinisch Notwendige“ für alle Menschen, nicht nur für Teile der Gesellschaft, erhalten bleiben. Es sei fatal für das Land, wenn die notwendigen Veränderungen durch eine Blockade im Bundesrat aufgehalten würden, so Schröder. Der Bundesregierung gehe es bei den beschlossenen Maßnahmen im Gesundheitswesen um eine Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme. Ziel sei es, eine Basis für weiterführende Reformen zu schaffen.
Riester-Rente ist stabilisierendes Element
Die Riester-Rente bezeichnete der Kanzler als eine „Erfolgsstory“ und ein stabilisierendes Element der Alterssicherung. Es könne jedoch zwei Jahre nach Einführung nicht erwartet werden, dass die neue Säule der Rentenversicherung bereits ihre volle Wirkung entfalte.
Schröder warnte zugleich vor Einschnitten bei den Kleinstrenten. „Es ist manchmal sinnvoll, sich mit den Zahlen zu beschäftigen“. Die Hälfte der rund 18 Millionen Rentenbezieher würde derzeit von staatlicher Alterssicherung leben, die für Frauen bei 500 € und bei Männern bei 1000 € liege. „Wer da noch kürzen will, soll sich das drei Mal überlegen“, sagte Schröder.
Kritisch äußerte sich der Kanzler auch zur Debatte über die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Viele Betriebe hätten mit Frühpensionierungen ihre Personalprobleme gelöst und beklagten jetzt die Folgen, sagte Schröder.
Flexibilisierung der Zeit- und Leiharbeit offensiv nutzen
Schröder betonte außerdem, dass die Rot-Grüne Bundesregierung erste Reformschritte eingeleitet habe, zu denen auch die Umsetzung des Hartz-Konzeptes gehöre . In Hinblick auf die Regelungen zur Flexibilisierung der Zeit- und Leiharbeit, sprach Schröder von einer Chance, die man nicht verstreichen lassen dürfe, sondern offensiv nutzen sollte. Der Kanzler stellte klar, dass die Gewerkschaften bereit seien, für gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und ältere ArbeitnehmerInnen Löhne auszuhandeln, die deutlich unter den Tarifverträgen liegen würden. Zugleich appellierte der Kanzler an die Banken und Sparkassen, sich nicht ihrer wirtschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Mit der Ausreichung von Krediten könnten diese Institute ihren Beitrag zur Konjunkturbelebung leisten.
EU-Erweiterung bietet mehr Chancen als Risiken
Nach Worten Schröders ist die Erweiterung der Europäischen Union ein historischer Beschluss. Diese sei zwar „nicht zum Nulltarif zu haben“, dabei werde Deutschland jedoch "nicht über Gebühr beansprucht". Der Bundeskanzler zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland politisch und ökonomisch von der Erweiterung profitieren werde.
Bundesregierung hofft auf friedliche Lösung des Irak-Konflikts
Der Bundeskanzler hofft auf eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts. „Gegenwärtig sieht es so aus, als könnte es gelingen, das Ziel einer Entwaffnung friedlich zu erreichen“, so Schröder. Aus diesem Grund sei er nicht bereit, theoretische Debatten darüber zu führen, was wäre wenn. Schröder bekräftigte die Haltung der Bundesregierung, die eine deutsche Beteiligung an einer Intervention im Irak strikt ablehnt. „Wir haben deutlich gemacht, wo wir stehen und was wir zu leisten bereit und im Stande sind“, sagte Schröder. Dabei bleibe es, dem sei nichts hinzuzufügen, unterstrich der Kanzler. Zu der israelischen Anfrage nach Militärhilfen fügte der Regierungschef hinzu, diese würden "im Einklang mit Gesetzen und den materiellen Möglichkeiten entschieden, um die Sicherheit des Staates Israel zu gewährleisten".
Schröder warnt Union vor Wahlkampfmanöver beim Thema EU-Mitgliedschaft der Türkei
In Hinblick auf die Aufnahme der Türkei in die EU warnte Gerhard Schröder die Opposition eindeutig: „Sie setzen sich dem Verdacht aus, ihrem Kollegen in Hessen ein billiges Wahlkampfmanöver verschaffen zu wollen“, sagte Schröder. CDU/CSU warf Schröder vor, in der Türkei-Frage die langjährige Kontinuität der deutschen Außenpolitik abzubrechen. Er zitierte dazu Erklärungen von Helmut Kohl und Michael Glos, die noch 1997 den Wunsch der Türkei nach EU-Mitgliedschaft unterstützt hätten.
Der Kanzler machte deutlich, dass Deutschland und Frankreich eine gemeinsam Position anstrebten und diese auf dem EU-Gipfeltreffen in Kopenhagen in der kommenden Woche gemeinsam vertreten zu wollen. Der EU-Gipfel von Kopenhagen, bei dem es um die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern geht, soll auch eine Aussage zur Perspektive für die Türkei treffen. Prinzipiell sei es ein „großes, gemeinsames, nationales Interesse“ Deutschlands, dass die Türkei nicht im islamistischen Fundamentalismus abdrifte und die Türkei eine enge Anbindung an den Westen erfahre, sagte Schröder.