
(Es gilt das gesprochene Wort)
I.
Anrede,
heute vor drei Wochen war es nur ein Gerücht. Und ich kenne niemanden in unserer Partei, niemanden in der Landtagsfraktion, niemanden im Kabinett – und, lieber Wolfgang, niemanden in Deiner Familie -der nicht gehofft hätte, es bliebe pure Spekulation.
Aber: Zwei Tage später fiel in Berlin die Entscheidung.
Wolfgang Clement ist dem Ruf – oder soll ich sagen: der Verpflichtung – des Bundeskanzlers in sein neues Kabinett als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gefolgt.
Lieber Wolfgang, wir wissen: Du hattest noch viel vor in und mit Nordrhein-Westfalen. Die Entscheidung war nicht leicht für Dich, aber sie war auch nicht leicht für uns.
Und jede und jeder hier kann sich vorstellen, dass ich seither auch bewegte Tage durchlebe.
Aber wir in Nordrhein-Westfalen wissen auch: Es gibt keinen Besseren für diese enorme Herausforderung.
Du wird sie meistern. Beharrlich, konsequent, erfolgreich – und natürlich mit jener Engelsgeduld, die hierzulande geradezu sprichwörtlich geworden ist.
Lieber Wolfgang, wir werden Dich nach Kräften unterstützen. Dein Erfolg in Berlin ist auch gut für unser Land; und er ist gut für die SPD in Nordrhein-Westfalen. Du kannst Dich auf uns verlassen. Du wirst uns hier fehlen.
Nun galt und gilt es für uns, diese Situation zu meistern.
All denjenigen, die gehofft oder gefürchtet hatten, wir seien nicht entschlossen und nicht geschlossen genug, den Blick nach vorn zu richten und uns neu aufzustellen, denen haben wir es gezeigt.
Unter der Führung von Harald Schartau waren wir handlungsfähig und haben in großer Geschlossenheit alle Vorbereitungen für die Wahl eines neuen Ministerpräsi-denten getroffen – und das Ganze in einem bemerkens-werten Tempo.
Dafür will ich Dir, lieber Harald, herzlich Dank sagen.
Wir alle hier wissen, wie viel diese überraschende Wendung auch und gerade Dir abverlangt hat. Du hast in diesen schweren Tagen ein Maß an Loyalität, ja, ich will sogar sagen an Selbstlosigkeit, an Sensibilität, aber auch an Entschlossenheit gezeigt, das war nicht nur ein Ausweis politischer Professionalität, das war kolossal. Mich hat das bewegt. Du bist ein souveräner Parteivorsitzender und ein großartiger Teamspieler.
II.
Die letzten Wochen haben nicht nur Wolfgang Clements und Harald Schartaus, sondern auch meine eigene Lebensplanung gehörig durcheinander gewirbelt.
Ich kenne die Anforderungen an das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Ich habe zwei Regierungschefs gedient: Johannes Rau als Büroleiter und Wolfgang Clement als Kabinettsmitglied. Und ich sage Euch: Ich habe einen Riesenrespekt vor dem Amt und den Persönlichkeiten, die es ausgefüllt und die es ge-prägt haben. Wer da aus dem Stand heraus sagte: „Das kann ich auch!“, der unterläge einer gefährlichen Selbstüberschätzung oder wäre doch zumindest nicht ehrlich.
Nun hatte ich ja gerade 18 Stunden Zeit, um mich zu prüfen und zu entscheiden. Mir ist klar geworden: Ich habe Respekt vor dem Amt, aber ich habe auch genug Selbst-vertrauen, um Euch zuzurufen:
Ja, ich bin bereit!
Deshalb bitte ich Euch um Euer Vertrauen und Eure Zustimmung für meine Bewerbung um das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen.
Liebe Genossinnen und Genossen, die deutsche Sozialdemokratie ist seit 33 Jahren meine politische Heimat.
Wie viele meiner Generation bin ich 1969 in die SPD Willy Brandts eingetreten – eine Partei, die sich in ihrer langen und mitunter leidvollen Geschichte
immer gegen heraufziehende nationale Katastro-phen gestemmt hat,
immer für den Frieden der Menschen mit sich und ihrer Welt eingesetzt hat und
niemals von demokratischen Grundprinzipien und den Grundwerten einer solidarischen Gesellschaft entfernt hat.
Ich fand es damals abstoßend, wie bürgerliche Kreise und ihre politischen Vertreter nicht nur den Politiker, sondern auch den Menschen Willy Brandt und seine ganz persönliche Geschichte verunglimpft haben.
Die Person Willy Brandt, ihr Lebensweg und ihre Ausstrahlung – all das hat mich fasziniert.
Willy Brandt wollte in der Bundesrepublik „mehr Demokratie wagen“ und in der Ostpolitik „Wandel durch Annäherung“ erreichen. Diese Fanfarenstöße haben den Muff des schlecht-bürgerlichen Nachkriegsdeutschlands weg geblasen und viele in die SPD gerufen. So auch mich!
Mein Weg führte mich nicht durch die Parteiorganisationen, sondern durch Institutionen: Ministerialverwaltung, SPD-Bundestagsfraktionen und Kabinette.
Vier Politiker, für die ich in dieser Zeit gearbeitet habe, haben mich besonders beeindruckt und in manchem auch geprägt: Hans Matthöfer, Helmut Schmidt, Klaus Matthiesen und Johannes Rau.
Bei ihnen habe ich das politische Geschäft von der Pike auf gelernt.
Ich sage das, um deutlich zu machen: Es gibt viele Wege, um für die SPD zu arbeiten und für sie politische Verant-wortung zu übernehmen.
Ich bin meinen Weg gegangen, und ich finde: Wir sollten möglichst viele Wege offen halten, die in die SPD führen. Unserer Partei kann das nur gut tun.
Dem Ruf von Wolfgang Clement 1998, nach NRW zurück-zukehren, bin ich gern gefolgt. Wir hatten schon Ende der 80er Jahre gut zusammengearbeitet: Er als Chef der Staatskanzlei, ich als Büroleiter von Johannes Rau.
Ich lebe und arbeite, von einer Unterbrechung in Schleswig-Holstein abgesehen, seit 1975 an Rhein und Ruhr. Meine Frau ist im Rheinland aufgewachsen, und unsere Kinder sind hier geboren. Der Satz „Vor der Hacke isses duster“ gehört mindestens schon so lange zu meinem Repertoire wie der Ausdruck norddeutscher Redseligkeit „Nu komms Du“.
Im Übrigen kann man als Finanzminister diesem Bergmannsspruch sehr viel abgewinnen, nicht zuletzt im Blick auf Steuerschätzungen.
Nordrhein-Westfalen hat seit Jahrhunderten die größte Erfahrung mit der Integration von Zuwanderern, und es hat damit auch beste Erfahrungen gemacht, nicht nur auf Schalke. Ihr habt uns Zugereiste mit offenen Armen empfangen. Nordrhein-Westfalen ist mir zur Heimat geworden. Hier darf ich bleiben, wer und wie ich bin – und muss auch meinen norddeutschen Akzent nicht verstecken.
III.
Im Übrigen meine ich: Nicht der Akzent ist wichtig, den jemand hat, sondern ob er Klartext redet.
Nichts ist schlimmer als eine zweideutige Politik. Darum will ich mich um eine möglichst klare Sprache bemühen. Diese Direktheit mag auf manche oder manchen bestürzend wirken. Aber sie vermeidet Missverständnisse.
Darum will ich meine Positionen nicht verstecken oder verschleiern, sondern so deutlich wie möglich machen.
Dazu gehört auch: Ich werde die Überzeugungen, die ich bisher auch als Minister vertreten habe, nicht an der Garderobe des Stadttors abgeben.
Allerdings: Ein neues Amt verlangt seinen eigenen Stil.
Als Ministerpräsident muss ich zusammenführen und, wo nötig, ausgleichen. Das gilt besonders in einer Koalitionsregierung.
Aber: Regierungsverantwortung ist am Ende Führungs-verantwortung. Für mich heißt das: führen und ausgleichen. Beides ist wichtig. Beidem muss ich gerecht werden.
Ich sage ganz klar: Die Koalition mit Bündnis 90 / Die Grünen gilt. Sie ist nicht auf Treibsand gebaut. Unser gemeinsames Ziel ist der Erfolg. Wie wir diesen Erfolg erzielen können, das haben uns Gerhard Schröder und Joschka Fischer – vielen Unkenrufen zum Trotz – gerade gezeigt.
Streitfragen müssen gelöst werden, ohne dass dabei die Koalition in Frage gestellt wird.
Machen wir uns nichts vor: Die Menschen beschäftigen sich nicht ständig mit Politik. Aber: Niemand darf ihr politisches Urteilsvermögen unterschätzen. Sie können politisch ein X gut von einem U unterscheiden. Sie wissen, welche Versprechen realistisch sind und welche nicht.
Für uns heißt das: Wir dürfen nicht mehr versprechen, als wir halten können, wenn wir nicht unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen wollen.
Es wird allerdings nicht genügen, „nur“ solides Regie-rungshandwerk zu bieten. Gerade in Zeiten großer Unsi-cherheiten und gravierender Umbrüche müssen wir den Menschen die Richtschnur unseres politischen Handelns deutlich machen.
Die Internationalisierung und technologische Entwicklung verschlägt vielen den Atem. Modernisierung empfinden viele als Bedrohung.
Wer wie ich davon überzeugt ist, dass die Gestaltung dieser Prozesse über unseren zukünftigen Wohlstand entscheidet, der muss auf die Kraft der Sozialdemokratie setzen, Menschen mit Verlustängsten mitzunehmen, ihnen Orientierung und Sicherheiten zu geben.
Die Anwälte und Promotoren der bloßen Beschleunigung können das nicht. Das kann nur die SPD.
Eine Gesellschaft, die sich zunehmend an Individualismus und persönlichem Vorteil orientiert, die sich so zu einer Spaßgesellschaft auf Ego-Trip entwickelt, eine solche Gesellschaft wird ihre Bindewirkung verlieren, weil sie sich entsolidarisiert. Das ist meine feste Überzeugung.
Genauso sicher bin ich, dass dies nicht der Weg ist, den die Mehrheit unserer Mitbürger will. Deshalb sind wir gut beraten, auf die Vermittlung unserer Werte zu setzen.
Es sind unsere Grundwerte, die nicht nur uns, sondern auch unserer Gesellschaft Halt und Orientierung geben.
Für mich ist die SPD die Partei der Freiheit, allerdings nicht der Freiheit von wenigen zu Lasten vieler, sondern der Freiheitschancen für alle.
Für mich ist die SPD die Partei der Gerechtigkeit. Wir können niemals akzeptieren, dass Lebenschancen un-gleich gefördert und Lebensrisiken ungerecht verteilt werden, denn sonst erschütterten wir das Fundament einer stabilen Gesellschaft und damit die Grundfesten un-serer Demokratie.
Für mich ist die SPD die Partei der Solidarität. Das ist al-les andere als überholt. Unsere Gesellschaft braucht et-was weniger „Ich“ und etwas mehr „Wir“.
Gemeinsinn und Gemeinwohl sind keineswegs Begriffe aus einer versunkenen Zeit, sondern dauerhafte Werte.
Uns stellt sich die Frage: Solides Regierungshandeln und beständige Grundwerte – reicht das? Für mich ist die SPD auch die Partei der Reformen.
„Nichts kommt von selbst. Und nur weniges ist von Dau-er. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf der Höhe der Zeit zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“
Dies ist ein Appell auch an unsere Veränderungsbereitschaft. Dieser Aufruf stammt aus dem Jahre 1992 und ist von niemand Geringerem als Willy Brandt. Nach meiner Einschätzung ist er heute aktueller als vor zehn Jahren.
Ich will Euch an wenigen Beispielen zeigen, wo unsere Veränderungsbereitschaft gefordert ist und wo auch ich programmatische Beiträge unserer Partei erwarte:
Wir müssen uns mit der demographischen Entwicklung unserer Gesellschaft und ihren Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme auseinander setzen.
Wir müssen uns mit der Rolle des Staates beschäftigen und uns von Vater und Mutter Staat verabschieden und zum Partner Staat kommen.
Wir müssen Nordrhein-Westfalens Platz in einem erweiterten Europa festigen.
Wir müssen uns mehr als bisher mit den Lebens-
entwürfen der jungen Generation befassen, die sich bei allem sozialen und politischen Engagement in herkömmlichen Organisationsformen nicht mehr wieder finden.
Wir werden erfolgreich sein, wenn wir unsere Grundwerte bewahren und Kraft für Veränderungen entfalten. Auch der Fortschritt muss sich menschlichen Maßstäben stellen. Das ist moderne Sozialdemokratie!
Eine moderne Politik für Gerechtigkeit und Erneuerung sorgt für eine leistungsfähige Infrastruktur, für neue Unternehmen, für mehr Arbeitsplätze, für eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen und für ein besseres Bildungsangebot – denn nur so kann Wachstum geschaffen und unser solidarisches Versicherungssystem aufrechterhalten werden.
Die notwendige Veränderung vertrauter Strukturen darf von den Menschen nicht als Bedrohung empfunden werden.
Denn nur Menschen, die sich sicher fühlen, wagen etwas Neues, etwas Unbekanntes. Nur Menschen die sich sicher fühlen, sind mobil, gründen Unternehmen, bauen Häuser und wollen Kinder haben.
IV.
Ihr sollt wissen, woran Ihr mit mir seid.
Ich brauche das Gespräch, auch die kritische Diskussion mit Euch über die Gestaltung von Politik.
Ich weiß, dass Ihr mir dabei manchmal einiges zumuten werdet. Ich fürchte allerdings: Das gilt auch im umge-kehrten Fall.
Ich kann im Amt des Ministerpräsidenten nur mit der Un-terstützung der Partei Erfolg haben.
Und die Partei kann nur erfolgreich sein, wenn sie offen, lebendig und zugleich in Zielen und deren Umsetzung einig bleibt.
Erfolgreiche sozialdemokratische Politik braucht auch in Zukunft eine Partei, die in allen Gruppen der Gesellschaft verankert ist. Wir müssen die gemeinsame Politik selbstbewusst und offensiv vertreten, weil uns niemand diese Aufgabe abnimmt.
Eine solche Partei müssen wir sein. Von der Basis bis zur Spitze. Ohne Basis hat die Spitze keinen Halt. Nur mit den Vielen in den Betrieben, in den Vereinen, in den Nachbarschaften, die unsere Politik aktiv unterstützen, erreichen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stabile Mehrheiten.
V.
Heute ist kein Tag für Regierungserklärungen.
Dieser Tag ist erst dann da, wenn der Ministerpräsident gewählt und ein neues Kabinett berufen ist.
Aber ich finde, dass dieser Parteitag, dass Ihr einen Anspruch darauf habt zu erfahren, welche Akzente ich in der Landespolitik setzen will.
Ich möchte im Amt des Regierungschefs alles tun, um die großartigen Entwicklungschancen zu nutzen und auszubauen, die Nordrhein-Westfalen hat. Wir wollen fortführen, was Wolfgang Clement begonnen hat, von der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit über die Förderung der Biomedizin, über die Entwicklung des Medienstandortes, über Leitprojekte für das Ruhrgebiet bis zum Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur auf der Schiene, auf der Straße und Magneten.
Wir haben wie keine andere Region in Europa den wirt-schaftlichen, industriellen und sozialen Wandel gestaltet und die Menschen dabei mitgenommen. Das hat viel politische Kraft gekostet und auch viel Geld. Beides ist richtig und gut investiert worden.
Gleichzeitig haben wir anderen Ländern der Bundesrepublik allein von 1995 bis 2001 30 Mrd. Euro in die verschiedenen Ausgleichssysteme abgegeben.
NRW ist heute ein Land der neuen Dienstleistungen und einer modernen Industrie. Das ist eine gute Grundlage, auf der wir den wirtschaftlichen Wettbewerb bestehen können.
Unser Land ist stark. Ich will mit meinen Fähigkeiten und meinem Engagement dazu beitragen, dass es stark bleibt und noch stärker wird.
Ich bin überzeugt davon, dass wir die Fülle von Aufgaben, vor der wir stehen, durch entschlossenes, beharrli-ches und koordiniertes Arbeiten bewältigen können. Nicht von heute auf morgen, aber Stück für Stück.
Die Aufgabe, die ich als erste nenne, ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Das sind wir den Menschen schuldig, die ohne Arbeit sind oder die sich um ihren Arbeitsplatz sorgen.
Hinzu kommt: Höhere Beschäftigung ist der Schlüssel zur Lösung einer Vielzahl anderer Probleme, von den sozialen Sicherungssystemen über die Integration bis hin zu den Finanzen der Kommunen.
Es gibt keine Alternative zu einer Politik für neue und sichere Beschäftigung.
Dass wir jetzt im Bund neuen Rückenwind für diese Auf-gabe durch Wolfgang Clement, durch die Umsetzung der Hartz-Vorschläge bekommen, ist ungeheuer wichtig und stimmt mich hoffnungsfroh. Mit diesem Rückenwind müssen wir hier im Land für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt sorgen.
Wir haben mit Harald Schartau den Mann, dem das wie keinem anderen zuzutrauen ist.
Diese Kombination von zwei Profis, die Hand in Hand, in Bund und Land, an dieser zentralen Aufgabe arbeiten, ist eine große Chance für Nordrhein-Westfalen. Wir sind froh über diese Chance. Wir wollen und werden sie nutzen.
Ich nenne an zweiter Stelle eine Politik für Bildung und Ausbildung.
Es ist oft gesagt worden und kann doch nicht überbetont werden: Bildung, Wissen, Können, das sind die einzigen, die wirklichen Schätze, denen wir unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität verdanken.
Wir müssen darum mit größter Entschlossenheit weiter daran arbeiten, für junge Menschen optimale Lernbedingungen zu schaffen. Und wir müssen hier, bei aller Sparsamkeit, zu der wir sonst bereit sind, auch künftig einen klaren, finanziellen Schwerpunkt setzen.
Es ist gut, dass der Bund uns dabei hilft. Vier Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre. Wir werden die Ganztagsbetreuung so weiter verbessern, dass Frauen und Männer Familie und Beruf künftig besser unter einen Hut bringen können als bisher. Dies liegt insbesondere im Berufs- und Erwerbsinteresse der Frauen.
Bildung ist eine originäre Länderverantwortung. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass die Länder auch über die entsprechenden Mittel verfügen, dieser Verant-wortung gerecht werden zu können.
Ich halte es in diesem Zusammenhang für richtig und gut begründbar, eine Vermögenssteuer im Interesse der Bildungschancen unserer jungen Menschen wieder einzuführen.
Die Besteuerung von Eigentum ist in kaum einem anderen OECD-Staat so niedrig wie in Deutschland. Wir haben seit 1997 faktisch keine Vermögenssteuer mehr. In dem Beispielsfall eines Nachlassvermögens mit einem Verkehrswert von 3,5 Mio. Euro, das die Witwe eines Unternehmers mit 2 Kindern erbt, ergeben sich Null Euro Erbschaftssteuern. In den USA leisten hohe Vermögen bzw. ihre Vererbung einen deutlich höheren Beitrag zum Steueraufkommen.
Es ist deshalb alle politischen Mühen auch um den Preis heftiger Auseinandersetzungen auch im Bundesrat wert, die 5 bis 10 % der vermögendsten Haushalte politisch zweckorientiert zur Finanzierung der Zukunftsaufgabe schlechthin – der Bildungsfinanzierung – heran zu ziehen.
Ich halte das weder für klassenkämpferisch noch verteilungspolitisch für unangemessen.
Bei Freigrenzen von oberhalb 1 Mio. Euro und einem moderaten Steuersatz sollten wir uns der Allianz von Desinformation und Propaganda entgegenstellen, die SPD wolle das mühsam zusammen getragene Vermögen aller Haushalte der Republik wegsteuern.
Ich werde als Ministerpräsident mit ganzer Kraft daran arbeiten, dass jedes Mädchen und jeder Junge in diesem Land, welcher Herkunft auch immer, die gleiche Chance auf eine erstklassige Ausbildung haben und ich weiß um die Herausforderungen und Erwartungen an die Schulpolitik.
Ich nenne einen weiteren Schwerpunkt: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Zurzeit brechen die Einnahmen schneller weg, als wir bei den Ausgaben sparen können. Das gilt für alle staatlichen Ebenen und für alle Länder und Kommunen in Deutschland.
Erst mit einem kräftigen Wirtschaftswachstum werden sich die öffentlichen Haushalte wieder durchgreifend erholen.
Die Bundesregierung hat die Weichen jetzt so gestellt, dass die Einnahmebasis unseres Gemeinwesens bei gleichzeitigen Erleichterungen aus der großen Steuerreform befestigt wird.
Das ist gerade für die Kommunen, die auf die Gewerbesteuer angewiesen sind, überaus wichtig.
Mir ist sehr bewusst, dass die Kommunen Mittel brauchen, um zu investieren. Nur so können auch sie die notwendigen Impulse für den Arbeitsmarkt geben.
Wir müssen gleichzeitig die Einnahmen stabilisieren, Ausgabepositionen durchforsten, Haushaltsstrukturen verändern und konsolidieren.
Schließlich will ich einen Schwerpunkt nicht ungenannt lassen, der sich aus dem Strukturwandel einer über 150 Jahre geprägten Industrieregion ergibt.
Aus Zeitgründen will ich mich auf die Bemerkung beschränken, dass ich eine Vernachlässigung der besonderen Probleme des Ruhrgebietes für ebenso falsch hielte wie umgekehrt eine Fixierung unserer Strukturpolitik auf das Ruhrgebiet.
Liebe Freunde!
Nordrhein-Westfalen ist ein Land, das vor erheblichen Herausforderungen steht – gemeinsam können wir sie meistern.
Lasst uns an die Arbeit gehen
mit der Entschlossenheit, das Notwendige zu tun;
mit der Bereitschaft, das Wünschenswerte nie aus den Augen zu verlieren
und mit dem Willen zum Erfolg.
Wenn wir durch Handeln und Leistung überzeugen, dann werden uns die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch in Zukunft ihr Vertrauen geben. Auf allen Ebenen:
‚ bei der Wahl zum europäischen Parlament im Juni 2004,
bei den Kommunalwahlen im Herbst 2004 und
bei der Landtagswahl im Frühjahr 2005.
Ich will mit all meiner Kraft zu einem solchen Erfolg beitragen.
VI.
Die SPD hat dieses Land wie keine andere Partei politisch geprägt.
Das ist kein Zufall. Die Menschen trauen den anderen nicht zu, die Verantwortung für dieses Land zu übernehmen.
Bei der FDP in Nordrhein-Westfalen ist das in diesen Ta-gen besonders offensichtlich. Kein Zufall, sondern eher das Beispiel für eine Partei im freien Fall, so wie nach ei-nem Sprung aus 2000 Metern Höhe – aber ohne Fallschirm.
Der Hauptbeitrag der CDU zur Landespolitik ist und bleibt, die Zukunft unseres Landes schlecht zu reden und in den düstersten Farben zu malen. Sie glaubt damit, uns und unsere Politik zu treffen. In Wahrheit aber verletzt sie die Urteilsfähigkeit und den Stolz der Bürgerinnen und Bürger.
Keine konstruktive Idee, nur das schmerzlich verzeichnete Bild eines nordrhein-westfälischen Jammertals.
Das allerdings unterscheidet die CDU von der FDP. Die CDU ist keine Spaßpartei, sie ist eine Jammerpartei.
Das passt nicht zum Land.
Doppelzüngigkeit genau so wenig.
Wie bei der Zuwanderungsdebatte. In Wirklichkeit weiß die CDU ganz genau, dass wir vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung eine begrenzte und kon-trollierte Zuwanderung brauchen.
Aber gegen das Zuwanderungsgesetz, das genau diese Zielsetzung hat, polemisiert sie. Mit einer zukunftsorientierten Politik, auch im Interesse unserer sozialen Transfersysteme, hat das nichts mehr zu tun.
Doppelzüngig ist die CDU auch in der Diskussion über die öffentlichen Finanzen.
Überall fordert die CDU zusätzliche Ausgaben: mehr Polizisten, mehr für die Bundeswehr, mehr Lehrer, mehr Familiengeld, mehr für den Mittelstand.
Stoibers und Rüttgers Versprechen im Bundestagswahl-kampf haben sich allein für 2003 auf über 21 Mrd. Euro summiert. Gleichzeitig sollten die Steuersätze noch weiter gesenkt und die Schulden abgebaut werden. Das ist schlicht unredlich und eine erstaunliche Geringschätzung der Urteilsfähigkeit der Wählerinnen und Wähler.
Wenn man sie nach der Gegenfinanzierung fragt, kom-men nur Sprechblasen und Milchmädchenrechnungen.
Diese Doppelzüngigkeit findet sich auch in der Familienpolitik.
Die CDU weiß ganz genau: Noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen wie heute.
Diese modernen Frauen lassen sich nicht vor die Alternative stellen: Familie oder Beruf. Die allermeisten von ihnen wollen Familie und Beruf und das ist gut so.
Doppelzüngigkeit schließlich in der Mittelstandspolitik.
Die CDU redet viel und gern über den Mittelstand. Sie wirft der SPD vor, ihn systematisch zu benachteiligen.
Welchen Mittelstand meint sie eigentlich?
Den Handwerker, den Sanitär-, Heizungs- oder Klimatechniker mit acht oder neun Beschäftigten jedenfalls nicht, denn der zahlt im Schnitt gar keine Gewerbesteuer mehr, seit er diese im Zuge der Steuerreform mit seiner Einkommensteuer verrechnen kann.
Richtig ist: Der Mittelstand ist neben den Familien und Arbeitnehmern eindeutig Gewinner der Steuerreform 2000 – entgegen der Abteilung „Agitation“ einzelner Lobbies.
Konservative tun gern so, als ob sie die einzig legitimen Anwälte des Gemeinwohls wären und die anderen nur ihre Gruppeninteressen im Auge hätten.
Das kennen wir doch: diese Haltet-den-Dieb-Parolen, mit denen privilegierte Gruppen von sich ablenken und jeden Solidaritätsbeitrag für unsere Gesellschaft abwehren wollen. Das gilt für konservative und neoliberale Politiker ebenso wie für manche Spitzenvertreter von Wirtschafts-verbänden, die den engen Schulterschluss mit den Kon-servativen suchen.
Mir sind jene Frauen und Männer ein Beispiel, die als Gewerkschafter, Betriebsräte oder als Verbandsvertreter dafür sorgen, dass Arbeitsplätze erhalten, legitime Interessen vertreten werden und dabei der Sinn für Proportionen nicht kapeister geht.
Sie verdienen unser aller Respekt. Sie leisten einen Beitrag zum Gemeinwohl, der nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Lasst sie uns zum Vorbild nehmen und uns nicht von Jammertiraden ins Boxhorn jagen!
Wolfgang, Du hast es in Deiner Jungfernrede als Bundesminister am Mittwoch im Deutschen Bundestag auf den Punkt gebracht: Wir brauchen nicht Miesmacher, sondern Mutmacher!
Ich sage Dir, lieber Gerhard, und Dir, lieber Wolfgang, und nehmt dies bitte aus der Gruga-Halle in Essen mit nach Berlin:
Die Mutmacher sind heute hier, unter uns, den Delegier-ten des Außerordentlichen Landesparteitages,
sie sind zuhause in den Ortsvereinen und Unterbezirken,
wir begegnen ihnen in den Betrieben und Verwaltungen,
wir treffen sie in den Vereinen und Wohlfahrtsverbänden.
Wir werden nicht aufgeben, den Miesmachern entgegenzutreten, sie davon zu überzeugen, dass durch mies machen noch nie etwas besser geworden ist.
Martin Luther hat den Gegensatz von Verzagtheit und Fröhlichsein drastischer dargestellt, als ich das hier heute tun sollte.
VII.
Machen wir Mut!
Machen wir uns Mut!
Machen wir den Menschen in unserem Land Mut!
Lasst uns das Land weiter nach vorne bringen! Nord-rhein-Westfalen hat eine ungeheure Kraft.
Und das ist die Hoffnung unserer Zeit: Dass wir die Kraft seiner Menschen entfesseln, indem wir sie von unserer gemeinsamen Chance überzeugen.
Nordrhein-Westfalen ist ein Land, in dem es nicht nur lohnt, sondern in dem es eine Lust ist, zu leben und zu arbeiten.
Wir begnügen uns nicht mit einem kaiserlichen „Schaun mer mal“. Wir packen an!
Weit und breit ist niemand, der besser wissen könnte als die Menschen in diesem Land, was es heißt und wie das geht: anpacken!
Packt mit an, dann packen wir’s!
Ich bin bereit.
Ja, ich will die Verantwortung übernehmen und Minister-präsident unseres Landes werden.
Für mich ist das die spannendste und zugleich die schwerste Aufgabe, die ich mir vorstellen kann. Niemand kann dieses Land im Alleingang nach vorn bringen. Das können wir nur in einer großen Gemeinschaftsleistung.
Erfolgreiche Politik ist ein Mannschaftsspiel.
Ich glaube an den Teamgeist in Partei, Fraktion und Landesregierung. Wäre ich davon nicht überzeugt, bräuchte ich gar nicht erst anzutreten und Euch heute um Euer Vertrauen zu bitten.
Ich trete an mit der Bereitschaft, das Gespräch zu suchen, aber dann auch klare Prioritäten zu setzen.
Ich trete an mit der Bereitschaft zuzuhören, aber am Ende auch zu klaren Entscheidungen zu kommen.
Und ich trete in dem Bewusstsein darüber an, dass ich mit der Wahl zum Ministerpräsidenten in einer Tradition stehe, die in den vergangenen 36 Jahren Heinz Kühn, Johannes Rau und Wolfgang Clement geprägt haben.
Das sind drei Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen, die mit ihrer Arbeit als Ministerpräsidenten dieses Landes die Messlatte für politische Gestaltung sehr hoch gelegt haben.
Aber: Wer Mut machen will, muss Mut haben.
Ich stelle mich dieser Herausforderung.
Ich werde sie bestehen können, wenn Partei, Fraktion und Landesregierung ein Team sind.
Ich bitte Euch um Euer Vertrauen.
Wenn Ihr mich als Mannschaftsführer wollt, dann will ich mein Bestes geben.
Und das ist ja wohl das Mindeste, was unsere Partei und alle ihre Mitglieder von mir, von uns, erwarten dürfen.
Dieses Land und seine Menschen haben nichts Geringeres verdient.
Glückauf !